Bitte beachten Sie die wichtigen Informationen zum richtigen Umgang mit Duft-Essenzen am Schluss des Textes!

Duftadventskalender

von «Les Essences de Séraphine»

1. Dezember

Thymian: Ich gebe nicht auf

Der Thymian ist eine mutige Pflanze. Er hält Hitze und Trockenheit stand und kommt mit wenig Ressourcen aus. Der Thymian dünstet ein intensiv duftendes ätherisches Öl aus. Es wölbt sich wie eine Glocke über ihn und verhindert, dass er austrocknet

und abstirbt. Das intensive, scharfe Öl schreckt auch Fressfeinde ab.

Wer am Thymian riecht, kann diesen beherzten Mut verinnerlichen und sich den Schutz vorstellen.

Als Kind litt ich oft an Bronchitis. Wenn ich mit Thymian inhalierte, fasste ich Mut, die schwere Krankheit durchzustehen. Ich vertraute darauf, gesund zu werden. Der Thymianduft half mir, tief einzuatmen, ohne von Husten geschüttelt zu werden, und

löste den zähen Schleim. 

Der Duft des Thymians ist warm, prickelnd und scharf. Ich rieche darin den Mut, für mein Wesen, meine Werte und meinen Weg einzustehen, ohne den Blick auf meine Mitmenschen zu verlieren. In Zeiten der Überforderung lässt er mich tief durchatmen,

er beschützt mich und löst den Schleim von Wut, Trauer, Ohnmacht und Selbstmitleid. 

Mit Thymian würzen ist nicht einfach, er übertönt leicht alle anderen Noten. Weniger ist mehr. Mein Geheimtipp: Thymian und schwarzer Pfeffer passen perfekt zu Rüebli, sogar in hoher Dosis. Ziegenkäse mit Honig und etwas Thymian gibt einen

Glückskick.

2. Dezember

Vanille: Im Arm der Mutter

Muttermilch riecht nach Vanille. Deshalb lieben die meisten Menschen diesen Duft. Er schenkt uns Geborgenheit und das Gefühl, von einem liebevollen Menschen im Arm gehalten zu sein. Wir fühlen uns wieder wie das satte Kind, das an der Brust seiner Mutter friedlich schlummert und weder Sorgen noch Angst kennt.  

Vanille ist der Duft der Berührung. Wer Vanille riecht, fühlt sich nicht allein.  

Vorsicht! Zu viel Vanille erschlägt unsere Wahrnehmung, macht uns apathisch und nimmt uns den Atem. Mutterliebe ist schön. Doch sie kann kippen. Wenn sie nicht primär für das Kind da ist, sondern die eigenen Bedürfnisse befriedigen will, lastet sie schwer auf uns.  

Die Vanille ist eine Liane, deren Schoten unreif geerntet und fermentiert werden. Vanille ist eines der teuersten Gewürze, deshalb kam oft eine Einzelsubstanz aus der Vanille in Glacen, Schokolade und anderen Süssigkeiten zum Einsatz: Vanillin. Doch weil das Vanillin gelblich ist und die Produkte verfärbt, und weil Vanillin neuerdings auch als Allergen gilt, kommen oft andere synthetische Vanillenoten zum Einsatz.  

Vanillezucker ist uns allen vertraut. Doch Vanille passt genauso gut zu pikanten Speisen. Fleisch, ganz besonders Geflügel und Wild, lässt sich ausgezeichnet mit Vanille parfümieren.  

À propos Parfums: Es versteht sich von selbst, dass Parfums mit Vanilleduft beliebt sind. Meist kommen synthetische Vanillenoten ins Rezept. 

3. Dezember

Zedratzitrone: Klare Augen

Der Zedratzitrone bin ich in Kalabrien und Sizilien begegnet. Zuerst schreckten mich ihre warzige Haut und die eher klumpige Form ab. Doch als ich ihre dicke Schale ritzte und den klaren, ungemein harmonischen Duft einsog, schämte ich mich. Wusste ich doch, dass das Äussere meistens sehr wenig über eine Persönlichkeit aussagt.

Die dicke, wohlriechende Schale wird kandiert, wir kennen alle das Zitronat. Die Zedratzitrone hat nur wenig Saft, er ist viel süsser als der gewöhnliche Zitronensaft. 

Wenn ich einer ungespritzten Zedratzitrone habhaft werde, was hierzulande gar nicht so einfach ist, dann verwende ich sie in der Küche in globo. Die dicke Schale, die dicke weisse Schicht zwischen Schale und Fruchtfleisch, das sogenannte Albium,

das Fruchtfleisch, der Saft: Alles schmeckt vorzüglich und verfeinert Pastasaucen, Fisch- und Fleischgerichte aufs Nobelste.

Wenn ich am Zedratzitronenduft rieche, der aus den Schalen kalt gepresst wird, ist mir, als schaue ich in die klaren Augen eines Menschen oder eines Tieres ohne Falsch. Vielleicht ist es diese Reinheit, die aber überhaupt nicht langweilig daherkommt, die der Zitrusfrucht zu ihren vielen Einsätzen in unterschiedlichen Religionen und Riten verholfen hat.

4. Dezember

Arve: Mit einem Lächeln Wind und Wetter aushalten

Den meisten Bäumen ist hier oben die Luft zu dünn. Doch die Arven fühlen sich auf über 2000 Metern über Meer pudelwohl. Sie bieten Sturmwinden, Hitze und Trockenheit die Stirn. Beim Gang durch den Tamangur, diesen zauberhaften Arvenwald im Unterengadin, lege ich meine Hand auf den einen und den anderen Stamm. Der Baum vibriert vor Vitalität. Ich atme seine Kraft tief ein und streiche über die gesunde, raue Rinde.

Die Essenz aus Arvennadeln und -zweigen verströmt die Botschaft: Auch in prekären Lagen ist blühendes, verwurzeltes Leben und Gedeihen möglich. Manche Arven im Tamangur sind 800 Jahre alt …

Wenn ich eine Arvenstube betrete, umweht mich ein heiliger Hauch majestätischer Berge und erträumten Himmels.

Die Essenz aus der Arve oder Zirbelkiefer, wie sie auch heisst, lindert Atemwegserkrankungen. Wichtig ist, das ätherische Öl der Arve sparsam anzuwenden. Zu viel Arvenöl kann reizen.

Ein Arvenkissen oder -säckchen mit Arvenspänen oder ein Duftstein mit einem Tropfen Arvenessenz hilft beim Ein- und Durchschlafen.

5. Dezember

Palmarosa: Balsam für Haut und Seele

Getrockneter Fisch, rohe Zwiebeln oder ein Teller Curry zum Frühstück ist nicht jedermanns Sache. Es gibt auch Essenzen, die uns in gewissen Situationen überfordern, weil sie zu stark oder zu eigenwillig sind. Palmarosa geht immer. 

Der Name führt uns an der Nase herum. Der Duft hat zwar eine leise Rosennote, stammt aber aus einem Süssgras, wie zum Beispiel auch das Zitronengras. Das beste Palmarosaöl kommt von der indonesischen Insel Java.

Der Duft hat keine Ecken und Kanten, er ist sanft und mild. Er lässt sich kaum beschreiben, manchmal empfinde ich ihn als fade.

Ausgerechnet seine Milde macht ihn jedoch zum Duft, der immer und für fast alle geht, wenn er sachkundig angewendet wird. Palmarosa erledigt Viren, Bakterien und Pilze. Das ätherische Öl lindert Schmerzen, es schützt und regeneriert unsere Haut

und unsere Seele vor destruktiven Eindringlingen. Erstaunlich, dass ein derart sanfter Duft einen so starken Schutz schenkt.

Ich habe Palmarosa lange unterschätzt. Erst während einer Krankheit erschloss sich mir ihre sanfte Kraft.

Vom Palmarosaduft habe ich gelernt: Wenn wir uns dem zuwenden, was vordergründig schwach oder unspektakulär erscheint, betreten wir oft Wunderwelten, in denen wir aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. 

6. Dezember

Mandarine: Das «Früchtchen»

Mandarine rot ist das Kinderöl par excellence. Ihr Duft macht uns wieder zu Kindern, die sich auf St. Nikolaus freuen und fast nicht warten können, bis der Weihnachtstag anbricht; zu Kindern, die an Wunder glauben, sich über jeden Schneestern freuen

und ihre Gefühle vertrauensvoll zeigen. 

Mandarinenduft beruhigt nicht nur zapplige Kinder. Er hilft auch Erwachsenen, den Schlaf zu finden. Doch er ist beileibe kein Bravmacher oder Ruhigsteller! Die leuchtende Mandarine weckt unser inneres Kind, dem wir so oft befehlen, zu schweigen; das wir so oft überhören oder es sogar wegsperren.

Die Mandarine ermutigt uns, ein «Früchtchen» zu sein und zu bleiben. Humorvoll, verspielt und verträumt. Mandarinenduft macht es uns leicht, unsere Erwachsenenverkleidungen abzuwerfen und zu zeigen, wer wir in Wahrheit sind. 

Die herausfordernde Zeit, in der wir leben, braucht Menschen, die ihr inneres Kind kennen und pflegen. Menschen, die sich trauen, ihre Gefühle zu zeigen und laut herauszulachen. 

7. Dezember

Kakao: Das starke Herz

Wir lieben alle Schokolade. Aber Hand aufs Herz: Wissen wir eigentlich, wie Kakao riecht? 

Die Kakaofrucht schenkt uns zwei Düfte. Den ersten finden wir in der Schweiz nur mit Mühe, am schönsten ist er auf einer Kakaofarm, wenn die frische Frucht aufgeschnitten wird und der Kakaohonig herausfliesst. Kakaosaft riecht und schmeckt honigsüss, ein wenig nach Passionsfrucht und nach Apfel, er ist himmlisch süss und hat gleichzeitig eine erfrischende Note, wenn ich sauer sage, dann ist das schon übertrieben. 

Der Duft der Kakaobohne oder -mandel kommt erst richtig zum Blühen, wenn die Kakaobohnen zweimal erhitzt werden. Einmal beim Trocknen und einmal beim Rösten. Röstaromen machen glücklich, deshalb ist Schokolade so unwiderstehlich. Wer den Kakao wirklich kennenlernen will, besorgt sich eine edle, dunkle Schokolade. Aber halt! Nicht in den Mund stopfen, sondern zuerst lange daran riechen. Der Kakaoduft ist komplex, jede edle Schokolade hat ihre eigenen Noten, fruchtige, nussige, rauchige, helldunkle … Kakao ist ein Universum. 

Schon bei den Azteken war die stärkende Wirkung des Kakaos bekannt. Krieger konnten nach dem Genuss eines Kakaogetränks 24 Stunden ohne Nahrung auskommen. Damals trank man den Kakao noch kalt. Wir können ihn in Ruhe und Frieden heiss geniessen, mit etwas Glück finden wir eine schöne Trinkschokolade, am köstlichsten schmeckt sie mit Zimt und Chili. 

Früher galt der Kakao in Europa als Medizin, die das Herz stärkt. Und was können wir in diesen Tagen besser brauchen als ein warmes, starkes Herz?! 

Wer sich mit dem Kakaobaum und seiner Wunderfrucht beschäftigen will, dem empfehle ich meine Radiosendung «Ab i Gaggo». Sie nimmt uns mit in den brasilianischen Wirtschaftswald und erzählt die Geschichte des Kakaos vom Baum bis zur Schokolade. 

Wer lieber liest, findet meine Eindrücke aus dem brasilianischen Regenwald auch in meinem Erstling «Nasbüechli - eine Duftreise», das im Cosmos Verlag erschienen ist. 

8. Dezember

Kardamom: Kaltes Feuer

Ich liebe Kardamom. Er ist ein Hauptbestandteil meines Lieblingsparfums, das ich auch heute trage. Ich kann nicht genug bekommen von dieser ausserordentlich ansprechenden Mischung aus unverbesserlich optimistischer und vitaler Kopfnote, dem Eukalyptol, das meine Atemwege pflegt und sauber hält, und der blumig balsamischen Note, die eine grosse Zuversicht und das Gefühl von Geborgenheit verströmt. Kardamom hilft mir zu verdauen, im Innen und im Aussen, er erfrischt mich immer wieder aufs Neue. Der Duft schenkt mir Selbstvertrauen und eine geschmeidige, aber unbeugsame Haltung, ich glaube, man nennt diesen Zustand Resilienz … 

Kardamom ist eines der teuersten Gewürze. Er gehört unbedingt in den Chai, macht den Kaffee zum königlichen Genuss und ist eine wichtige Komponente in Currymischungen. Leider wenden wir Kardamom selten an und bringen uns um seine

wohltuende Wirkung. Dabei steht er Fleisch-, Linsen- und Kürbisgerichten mehr als nur wohl an und veredelt Desserts. 

Kardamom gehört zu den Ingwergewächsen, er ist eine Wohltat für unsere Verdauung und macht Mundgeruch den Garaus. Nach einem üppigen Mahl zwei drei Kardamomkapseln in den Mund stecken und einige Minuten darauf kauen, ist mein Tipp. Der Magen räkelt sich zufrieden, das Völlegefühl verschwindet, der Mund ist sauber und riecht frisch. 

Kardamom ist auch ein wunderbarer Begleiter bei der Arbeit. Seine Kopfnote fördert die Konzentration, die enthaltenen Ester lösen unseren Stress in Luft auf, das Eukalyptol lässt uns frei atmen. 

Springen wir in sein kaltes Feuer, das uns nicht verletzt, sondern belebt, beschwingt, beglückt. 

PS: Mit etwas Glück finden wir in Geschäften mit Zimmerpflanzen einen Kardamom; dann haben wir ihn immer bei uns …

9. Dezember

Ylang Ylang: Tiefenentspannt gestreichelt

Ich bevorzuge den botanischen Namen von Ylang Ylang: Cananga odorata. Der Blütenduft ist zentnerschwer. Wenn wir den Duft stark verdünnen, nimmt er uns hingegen unsere Lasten ab, beruhigt ein rasendes Herz und einen unruhigen Geist und hilft uns, Entspannung zu finden, wenn wir verkrampft oder angespannt sind, das gilt im Innen und im Aussen.

Der Ylang Ylang Baum ist auf den Philippinen zuhause. Das Öl kommt heute von Madagaskar und den Komoren zu uns. Die grossen, schwer duftenden Blüten werden nach der Ernte sur place destilliert, nur die frischen Blüten schenken uns das

Öl, dessen Duft unsere Seele streichelt. 

Spontan würde man den narkotischen Duft wohl in üppigen Damenparfums verorten; doch in meiner Duftarbeit stelle ich immer wieder fest, dass Ylang Ylang Duft Männer besonders häufig anspricht. Der Ylang Ylang Duft lehrt mich, keinen Klischees

aufzusitzen. Ich bin der Meinung, dass es Frauen gibt, denen sogenannte Herrendüfte ausgezeichnet stehen; und manchen Männern stehen Damenparfums gut zu Haut. Die Düfte gehören allen, jede und jeder umgebe sich mit dem Duft, der

anspricht. Im Falle von Ylang Ylang genügen Spuren des Öls, um uns tief zu entspannen. Wer sich dem Ylang Ylang Duft überlässt, fühlt sich gestreichelt und aufgehoben.

10. Dezember

Römische Kamille: «Wenn du mich trittst, rieche ich umso besser»

Kamille. Bei diesem Wort zuckt so mancher zusammen. Zu unangenehm die Kindheitserinnerungen an Kamillentee bei Bauchweh. Ich will die Deutsche oder Echte oder Blaue Kamille nicht schlechtreden. Aber ich bin auch kein Fan.

Die sogenannte Römische Kamille ist wesentlich beliebter. Ihr Duft ist angenehm und verströmt eine stille Kraft. Der Name Anthemis nobilis passt zu ihr: Sie riecht edel. Die Noblesse schlägt sich auch im Preis nieder: Es ist eine teure Essenz. Das ätherische Öl wird zwar nicht aus Rom angeliefert, doch es kommt aus Europa, aus England oder Frankreich.

Die Essenz der Römischen Kamille enthält 80 % Ester, also diejenigen Verbindungen, welche unserer Seele so wohl tun; sie entspannen, entkrampfen, lassen uns lächeln und bringen uns nach Hause. Lieblich blumig riechen sie, haben aber nichts Schwülstiges oder Opulentes an sich. 

Hinter der blumig fruchtigen Süsse kniet ein bescheidenes Kraut, das eine ungeahnte Widerstandskraft und ein kerngesundes Selbstwertgefühl besitzt. «Wenn Du auf mir herumtrampelst, rieche ich umso besser», spricht sein Duft. Die tretenden Füsse können der Anthemis nobilis nichts anhaben. Im Gegenteil. Sie bringen den weichen Duft zum Blühen, die Römische Kamille gedeiht unbeirrt und lässt sich weder erniedrigen noch einschüchtern. Sie macht weiter, schaut nach vorn, geht ihren Weg. Sie weiss, wer sie ist. 

Ihre Noblesse, ihre glänzende Demut schenkt sie allen, die an ihr riechen.

11. Dezember

Litseabeere: Gebäck aus dem Paradies

Meine Freude war unbändig, als ich neulich in einer Epicerie im Jura getrocknete Litseabeeren fand. Kaum hatte ich das Glas mit dem Gewürz erworben, öffnete ich es und biss in eine Litseabeere. Ich erlebte eine Geschmacksexplosion aus zitroniger Frische, gefolgt von pfefferscharfen und bitteren Noten. Mit dem Gewürz verhält es sich gleich wie mit der Essenz: Eine kleine Dosis reicht. Wenn wir Litsea in eine Creme einarbeiten oder sie sonst auf die Haut bringen, ist die kleine Dosis sogar ein Must: Zu viel Litsea reizt die Haut. 

In China wachsen die meisten Litsea cubeba Bäume, die auch May Chang heissen. Aus den Früchten, den Blättern und der Rinde dieses Duftbaumes destilliert man das ätherische Öl.

Jedes Mal, wenn ich der Litsea-Essenz begegne, überrascht, verblüfft und beeindruckt sie mich. Ihr Duft ist frisch, optimistisch und gefällig, ohne oberflächlich zu sein. Für mich riecht sie wie ein Gebäck aus dem Elfenreich, wie es Tolkien beschreibt. Ein Gebäck aus einem paradiesischen Land. Wenn ich den Litseaduft Interessierten zum Riechen gebe, geht auf den Gesichtern und in den Herzen meiner Gegenüber die Sonne auf. «Lieblingsduft», «einzigartig», so lauten die Kommentare. 

Litsea hilft bei vielen unserer Zivilisationsleiden: Herzrhythmusstörungen, Verdauungsbeschwerden, Schlafstörungen, Depression und Angst. Litsea ist ein idealer Begleiter in der Coronazeit. 

Ich rieche in diesem kühlen Feuerwerk noch etwas anderes: die reine Lebensfreude. Die Freude, deren einziger Grund die Tatsache ist, dass ich am Leben bin. Dass ich atme. Dass ich bin, die ich bin.

12. Dezember

Zeder: Die aufrechte Noble

Bäume stehen aufrecht – wie wir.

Bäume sind soziale Wesen – wie wir. Sie bilden mit Pilzen Symbiosen, pflegen Partnerschaften mit Vögeln, kommunizieren via Duft mit ihren Artgenossen. Bäume beherrschen die Kunst des Lebens, sie werden älter als wir, manche bis 1000 Jahre alt. Wenn ich bei einem alten Baum stehe und meine Hand auf den Stamm lege, wünsche ich mir immer, er könnte mir erzählen, was er alles erlebt, gesehen, gehört hat. 

Es gibt viele Essenzen, die von Bäumen stammen. Blätter und Nadeln, die botanisch gesehen auch Blätter sind; Zweige, Blüten und Holz werden destilliert. Die Öle aus Hölzern sind ganz besonders kostbar, köstlich und wirkungsvoll. Leider sind wir Menschen oft masslos: schlagen Bäume und sorgen nicht für Nachwuchs, deshalb nehmen viele Bestände von Duftholzbäumen dramatisch ab: der Rosenholzbaum zum Beispiel, der Sandelholzbaum und die Atlaszeder sind stark gefährdet. Vor kurzem habe ich das Öl der Virginiazeder entdeckt, die in den USA heimisch ist und deren Öl ich mit etwas besserem Gewissen einsetzen kann. Sie heisst auch Rote Zeder, ist aber eigentlich ein Zypressengewächs. 

Die Zeder ist ein starker, aufrechter, immergrüner Baum. Für mich ist die Zeder ein königlicher Baum, ein Wesen, das Macht und Autorität ausstrahlt und erfolgreich ist. Sein Duft wirkt auf mich wie ein Mensch, der eine noble Gesinnung hat, auf den ich mich verlassen kann, der nicht über Leichen geht, sondern seinen Erfolg dank klugen, überlegten Handelns und dank seines gewinnenden Wesens bekommt. Er ist unbestechlich und gegen schlechte Einflüsse immun. 

Die Zeder ist meine Lehrmeisterin. Ich will werden wie sie. 

PS: Das Virginiazedernöl ist nichts für Schwangere und kleine Kinder. 

PPS: Virginiazeder ist bei Haarausfall empfohlen und pflegt Beine mit Krampfadern. Insekten, auch Motten, nehmen Reissaus, wenn sie es riechen.

13. Dezember

Kurkuma: Das gelbe Wunder ??

Nicht einmal Pflanzen sind vor einem Hype sicher. Einmal wird Teebaum in den Himmel gehoben, dann bekommt Aloe vera den Status eines Jungbrunnens; einmal soll Moringa alles richten, und seit einiger Zeit gibt es einen Hype um Kurkuma. 

Kurkuma erlebte hierzulande einen spektakulären Aufstieg. Lange fungierte das Gewürz höchstens als Farbgeber von Currymischungen. Und jetzt findet man das Rhizom, das seiner gelben Farbe wegen auch Gelber Ingwer, Indischer Safran oder Gelbwurz genannt wird, an jeder Ecke: Kurkumashots, Kurkuma Latte, Kurkumakapseln … Kurkuma ist zum Wundermittel avanciert. 

In meinem Atelier habe ich zwei verschiedene Kurkumaöle. Das eine riecht definitiv nach einem Gewürz, holzig, balsamisch und – nach rohen Randen. Das zweite Kurkumaöl kratzt mich in der Nase wie Ingwer – Kurkuma gehört ja auch zu den Ingwergewächsen – doch der Duftfarbton ist dunkler und dumpfer. Kurkuma hat einen jener Düfte, die uns erst nach einiger Zeit ansprechen, spontan ist wohl kaum jemand begeistert. Es ist ein ernster Duft. 

Kurkuma findet in der chinesischen und der ayurvedischen Medizin von alters her Anwendung. Die einen preisen Kurkumin, den gelben Farbstoff aus dem Gewürz, als Antioxidans, Entzündungs- und Krebshemmer, die anderen halten dagegen, es sei nicht wissenschaftlich erwiesen, dass Kurkuma hilft. 

Ich weiss nicht, wie gut Kurkuma wirkt. Dass die Wirkung nicht wissenschaftlich untermauert ist, muss aber auch nicht heissen, dass Kurkumin ein Placebo ist. Wie auch immer, eines zeigt uns der Kurkuma deutlich: Wir Menschen haben die Tendenz, einen Retter zu brauchen; eine Instanz, der wir die Verantwortung abgeben können; eine Wahrheit, an die wir glauben: Das suggeriert uns Sicherheit. 

Der Duft der Kurkumaessenz spricht eine andere Sprache: Es gibt Hilfe, doch ein grosser Teil der Verantwortung bleibt bei uns. Es gibt keinen Retter, aber es gibt Begleiter und Freunde. Es gibt viel Gutes, aber Sicherheit gibt es keine. Es gibt die Wahrnehmung, aber DIE Wahrheit und DIE Erlösung gibt es nicht. Es gibt jedoch viele Wege, die auf heilige Berge führen. 

Ich rieche noch einmal am Kurkuma, dem balsamischen, holzigen Gewürz, das mich fordernd in der Nase kratzt, und mache mich auf den Weg. 

14. Dezember

Krauseminze: Das ist mein Platz

Die Minze weiss, was sie will. Wer sie in seinem Garten kultiviert, kann ein Lied davon singen. Einmal Minze, immer Minze. Sie nimmt sich ihren Platz. Und wenn wir nicht aufpassen, so nimmt sie überhand.

Mit ihrem Duft verhält es sich gleich. Er ist sehr präsent, dominiert Duftmischungen, ist von weitem und lange zu riechen und unverwechselbar. Wenn er zu stark ist, wird er zur Mauer, die uns erdrückt, und blockiert unsere Wahrnehmung.

Krauseminze ist süsser und eleganter als die Pfefferminze. Mir kommt sie vor wie ein Kind, das fröhlich vor sich hin trällert, das sich nicht scheut, Mama beim Telefonieren oder Abwaschen und Papa beim Kühlschrank Einräumen oder Fernsehen zu stören. Es nimmt sich die Aufmerksamkeit, die es braucht, und ist ein Sonnenschein für die Erwachsenen, die in ihrer getakteten Welt leben, in der jeder weiss, was er oder sie zu tun hat.

Krauseminze ist ein eleganter, süsser, fröhlicher Duft. Krauseminze macht uns wieder jung und unbeschwert. Wie damals, als wir es liebten, aus Minzkaugummis mit der Zunge und etwas Atem Blasen zu formen und sie knallen zu lassen.

Krauseminzeduft hilft bei Übelkeit und nervösem Magen, nimmt uns Stress ab und macht uns unbeschwert. Wer Minze einsetzt, sollte selber wissen, was er oder sie will. Sonst wird er von ihr eingegarnt wie von einem Kind, das keine Grenzen akzeptiert.

Minzen wachsen nicht so sehr in die Tiefe, sondern in die Breite. Sie bedecken den Boden und erfüllen den Garten mit intensivem, optimistischem, vitalem Duft. In unserer Welt, in der wir ständig erreichbar sein müssen und in immer weniger Zeit immer mehr erledigen müssen, tut ein wenig Minzenmanier, ein wenig mehr Platz für sich selber, ein wenig Überbeschäftigte stören nur gut. Die gelockte, unverfrorene, vitale Krauseminze macht es uns vor.

15. Dezember

Blutorange: Resilienz pur

Die Blutorange ist die Schwester der Süssen oder Blonden Orange. Ihr Saft ist spritziger, komplexer, Vitamin-C-reich. Ihr Fruchtfleisch und oft auch die Schale sind im Gegensatz zur Süssen Orange blutrot. 

Wenn ich am Blutorangenöl schnuppere, nehme ich eine klare, kompakte Kraft wahr. Die braucht die Blutorange auch; sie ist nämlich starken Temperaturschwankungen ausgesetzt. Am Tag wohlig warm, in der Nacht eiskalt. Auch mit schweren Nachtfrösten kommt die Zitrusfrucht klar. Sie können ihr nichts anhaben. Die Blutorange dreht den Spiess um. Sie  schafft es, die anspruchsvollen, anstrengenden Lebensbedingungen zu nutzen, um sich zu etwas ganz besonderem zu entwickeln. Täglich übt sie Resilienz und entwickelt die edle Farbe und den exquisiten Geschmack. Die schönsten, dunkelsten Blutorangen, die den Weg zu uns finden, reifen in Sizilien an den Hängen des Ätna. Das Feuer und die uralte Kraft des Vulkans ist in ihrem Duft zuhause. 

Dank der gesammelten Erfahrung und dank der erfolgreichen Überlebensstrategien hat der Duft der Blutorange für uns eine Botschaft bereit, die uns entlastet, die uns Stress wegnimmt, die bewirkt, dass wir kompakt und gesammelt sind, dass Körper und Seele fest zusammenhalten und aufeinander hören. Blutorangenöl schafft es mit Leichtigkeit, uns zur Ruhe kommen zu lassen und uns gleichzeitig zu beleben, damit wir in diesem fordernden Winter beweglich und handlungsfähig bleiben. 

Nicht alle Zitrusöle sind hautfreundlich. Das Blutorangenöl jedoch entwickelt in seiner Schale hautfreundliche Stoffe, so dass wir unseren Masseur oder unsere Physiotherapeutin getrost bitten können, ins Massageöl ein paar Tropfen Blutorangenöl zu geben. Blutorangenduft klärt unsere Seele und den Mantel unserer Seele: die Haut. Und er tut auch Kindern und Jugendlichen wohl, die in diesen Monaten reihenweise psychisch krank werden. 

Ich wünsche mir, dass wir die schwierige Lebenslage, in der wir alle stecken, dazu nutzen, uns zu etwas ganz Besonderem zu entwickeln. Zu einer edlen, kostbaren Essenz, die uns selbst wohl ansteht und die auch für andere da ist. Tupfen wir uns doch morgens einen Tropfen Blutorangenöl auf die Maske. Auf diese Weise inhalieren wir den ganzen Tag die Resilienz der Blutorange und können wir gefasst und vital den Tag gestalten. 

16. Dezember

Eukalyptus: Elixier für Atemwege und Lunge

Viele lehnen Eukalyptusduft heftig ab. Zu sehr erinnert er an Erkältungen, an Kindertage in Fieberträumen, an Mütter, die einen rundum mit Pulmex oder anderen Salben einreiben. Eukalyptusessenz ist stark und fordernd. Und sie hat es bei uns schwer, weil sie mit unerfreulichen Erinnerungen verbunden ist, mit dem Gefühl von Kranksein und Leiden.

Auch ich habe den Zugang zum Eukalyptusduft erst in seinem Ursprungsland gefunden. Im trockenen australischen Eukalyptuswald fühlte ich mich einfach nur glücklich. Die Luft salbte meine Atemwege, ich war beschwingt und hätte trotz 38 Grad am Schatten den ganzen Tag singen und tanzen mögen. Ich empfand eine Leichtigkeit wie kaum je zuvor.

Auf meiner letzten Australienreise begann ich, an den ätherischen Ölen verschiedener Eukalyptusarten zu riechen und merkte, dass sie mir viel besser gefielen als diejenigen, welche ich aus meinem Atelier kannte. Hierzulande bekommt man selten australisches Eukalyptusöl zu kaufen. Sogar der australische Eukalyptus globulus, den die Australier «Blue gum» nennen und der ein wunderbares Mittel bei starken Erkältungen und hartnäckigem Husten ist, riecht angenehm. Mein Fläschchen mit dem französischen Eukalyptus globulus stinkt für meine Nase zum Himmel.

Eukalyptuswälder sind heilige Orte. Wer dort einmal tief durchgeatmet hat und die heilende Wirkung auf die Atemwege, die Lunge und die Seele wahrgenommen hat, wird diesen Wunderort nie mehr vergessen. Als vor einem Jahr riesige Flächen mit Eukalyptuswald abbrannten, war ich untröstlich. Und als ich neulich hörte, dass ein heiliger Eukalyptushain der Aborigines gerodet wurde, um die Autobahn zu verbreitern, weil es im Engpass zu tödlichen Unfällen gekommen war, da fiel ich aus den Schienen. «Es sind ja nur ein paar Bäume». Lieber heilige Bäume fällen als Menschen dahin bringen, auf dem besagten Autobahnstück langsam und vorsichtig zu fahren und im Gedenken an die heiligen Bäume einen Moment innezuhalten.

Beim Kulturphilosophen Charles Eisenstein las ich gleichentags, den Menschen tue Liebe not, die Liebe zur Erde und ihrem vielfältigen Leben fehle. Ich kann ihm nur beipflichten. Liebe und Tempo schliessen sich in aller Regel aus.

Für meinen Duftadventskalender habe ich einen wenig bekannten Eukalyptus gewählt, den Eukalyptus staigeriana. Er riecht waldig, aber auch zitronig leicht. Eukalyptus staigeriana wird von den meisten gern inhaliert. Er pflegt nicht nur Atemwege und Lunge, was bei steigenden Fallzahlen eine gute Nachricht ist. Er pflegt auch unsere Seele. Er haucht uns die Liebe ein, von der Charles Eisenstein spricht und die wir, unsere Erde und die Bäume so nötig haben.  

17. Dezember

Copaiva: Der Traum vom Neubeginn

Ich fasste mir ein Herz. Elf Jahre ist das her. Ich begann, meinen lang gehegten Traum, mit meiner Nase auch beruflich zu arbeiten, in die Tat umzusetzen.

Zuerst schrieb ich ein Buch übers Riechen und über die Nase, das «Nasbüechli». Was für ein Spass! Dann begann ich, Aromatherapie zu studieren. Weil ich von den Düften nicht genug bekommen konnte, hängte ich eine Ausbildung in dialogisch aktiver Duftkommunikation nach Christine Lamontain an. Mich interessieren die Wirkungen der natürlichen Düfte auf unser ganzes Menschsein. Und ich liebe Parfums und träume seit langem davon, selber welche zu kreieren. Vor zwei Monaten begann ich doch tatsächlich meine Ausbildung zur Parfumeurin. Mit kindlicher Freude und stiller Hartnäckigkeit trainiere ich meine Nase.

Als ich den Copaivabalsam für den Duftadventskalender auswählte, schrieb ich spontan «Der Traum vom Neubeginn» als Titel. Mir war zuerst selber nicht ganz klar, warum. Als ich dann las, die Indianer des Amazonas ölten den Nabel Neugeborener mit Copaiva ein, verstand ich, warum. Neubeginn passt zum Copaivabalsam, diesem Baumsaft, der noch zu uns aus dem Amazonasregenwald kommt. Die Bäume schenken uns diesen sanften, wundheilenden, Bronchitis lindernden Duft. Der Copaivabaum nimmt bei der Aktion keinen Schaden, er lebt weiter.

Copaiva ist schwer zu beschreiben. Der Duft ist lind, warm wie ein wonniges Bad. Einerseits macht er es unseren Nasen einfach, andererseits entzieht er sich, ist nicht zu fassen. Wie ein Traum.

Ich nehme den Copaivabalsam so wahr, dass er uns träumen hilft. Er stärkt unseren Traum vom Neubeginn, er heilt die Wunden des Selbstzweifels oder der Abwertung durch andere – wie viele Menschen gibt es auch heute noch, denen ständig gesagt wurde: Aus Dir wird nichts Rechtes – und er lässt den Entschluss in uns reifen, unsere Träume zu verwirklichen und sie nicht länger auf eine Zeit zu verschieben, die in blauer Ferne dann vielleicht irgendwann kommt. Wenn wir gespart haben. Oder wenn wir pensioniert sind. Oder …

Viele Menschen müssen sich dieser Tage neu erfinden, ob sie wollen oder nicht. Die Coronakrise raubt ihnen die Lebensgrundlage. Doch den Traum vom Neubeginn immer wieder zu träumen und dann den Traum ins Leben zu integrieren, das kann auch unendlich wundersam sein. Mit etwas Copaivaduft, der erst noch unsere Atemwege pflegt, geht es beschwingter.  

18. Dezember

Anis: Precious moments

Es gibt Momente, in denen alles klar ist. Alles stimmt. Innerer Blick über eine weite Fläche. Alles ist möglich.

Momente, die man nicht zerreden will. Nur still halten und auskosten. Zufrieden schweben.

Es riecht gut.

Es riecht nach Anis.

Für mich jedenfalls. Jede und jeder nimmt einen Duft auf ihre oder seine eigene Weise wahr, je nachdem, woran der Duft erinnert. Düfte sind immer mit der Erinnerung an die Situation verknüpft, in welcher der Duft auftauchte. Jeder hat seine eigene Geschichte mit den Düften. Jede hat ihre Duftgeschichte.

Anis ist nicht jedermanns Sache. Man liebt ihn oder man schüttelt sich angewidert. Wir alle haben unseren eigenen «Precious moment».

Wenn ich Anis rieche, atme ich leicht. Wenn ich Husten habe, hilft er mir. Wenn ich Bauchweh habe, äusserlich oder innerlich, kaue ich auf ein paar Anissamen und schlucke sie hinunter. Sie heben mich behutsam hoch und lassen in mir dieses kostbare Gefühl des stillen Glücks aufkeimen. Dass noch Raum ist. Noch Zukunft. Dass ich den Weg finde, auch wenn die Sanduhr abgelaufen ist.

Anis ist ein typisches Weihnachtsgewürz, doch er kann viel mehr. Fisch würzen zum Beispiel. Oder Brot. Oder Trinkschokolade. Anis ist vergleichsweise teuer. Meist findet sich nur der billigere Sternanis: auch fein, kommt aber nicht ganz an den auserlesenen Duft und Geschmack von Anis heran.

Ich wünsche allen, ob mit oder ohne Anis, viele kostbare Momente, klar, stimmig, wohlriechend.

19. Dezember

Rose: Quintessenz

Die Rose ist die Königin der Blumen.

Die Rose ist die Blume für die Königin.

Die Rose ist die Essenz der Essenzen.

Keine Essenz besitzt mehr Duftbausteine als die Rosenessenz. 400 sind bekannt. Viele weitere noch nicht. Ein Geheimnis webt sich um diese Blume. Deshalb lieben wir sie alle. Es ist das unentschlüsselbare Geheimnis des Lebens.

3,5 – 5 Tonnen Rosenblüten sind nötig, um einen einzigen Liter Rosenöl zu gewinnen. Rosenessenz hat den Wert von Gold.

Nach einer anstrengenden Arbeitsphase kam ich ausgelaugt an die Rosenernte in Bulgarien. Tagelang ging ich durch die Rosenfelder, wie im Traum, der Duft wiegte und pflegte mich. Stundenlang sass ich still in der Destillerie, der Duft war so stark, dass es nichts mehr gab ausser ihn. Ich liess mich vertrauensvoll in die blaue Gelassenheit sinken, in die Kraft der zarten, verletzlichen Rosenblüte, die sich aber mit nadelscharfen Dornen zur Wehr setzen kann. Ich schwamm in einer Rosenblütenschale auf dem Meer des Seins.

Als ich die Destillerie verliess, waren meine Kraft und meine Lebensfreude wieder wach. Ich war bei mir angekommen in meiner eigenen Essenz. Die Vögel sangen, der Tag leuchtete. Im Frieden machte ich mich auf den Weg. 

20. Dezember

Grapefruit: Verjüngungskur

Ausgerechnet die bittere Zitrusfrucht Grapefruit heisst mit botanischem Namen Citrus paradisi. Wenn ich den Duft des Öls aus der Fruchtschale einatme, spüre ich eine entschlossene Kraft. Es fühlt sich aber nicht so an, als würde ich unbeschwert durch ein Paradies wandeln.

Der Grapefruit-Duft lässt Frauen bis zu sechs Jahre jünger erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Das klingt schon eher nach paradiesischen Bedingungen. Zwei, drei Spritzer eines Parfums mit Grapefruit – und schon ist Frau verjüngt, ohne jeden medizinischen Kunstgriff. Risikofrei und garantiert viel günstiger als eine Schönheitsoperation.

Nein, das sind keine Fake News. Die Information stammt aus einem Buch eines der renommiertesten Duftforscher: Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum. Nur schade, wurde der Test nicht auch für Männer durchgeführt … Jedenfalls bin ich sicher, dass Grapefruit-Duft auch an Männern sehr erfreulich riecht. Und Parfums mit Grapefruit-Noten gibt es jede Menge. Die Frage ist nur, ob synthetische Citrus paradisi-Noten den gleichen Effekt haben …

Auf einem Parfumforum las ich, eine Firma habe sogar einen Grapefruit-Duft für Verjüngungswillige kreiert, der «Happy by Nature» heisst.

Schauen wir genauer hin, welche Wirkungsweise die Grapefruit in der Aromatherapie hat, ergibt der Eindruck von Jugendlichkeit durchaus Sinn. Denn die Grapefruit wird zur Glättung und Straffung der Haut eingesetzt, bei Krampfadern und bei Cellulitis. Das Öl dient zur Pflege des Lymphsystems, unnötige Flüssigkeit wird aus dem Körper geleitet.

Die Grapefruit macht uns stark bei innerer Unruhe, sie glättet also auch die inneren Wogen und leitet Sorgen und Ängste aus, die uns am Leben und klar Denken hindern. Grapefruit ist ein Aufstehduft. Ein Duft, der uns entschlossen und stark macht – und ein halbes Jahrzehnt jünger!

PS: Wer seine Venen pflegen oder die Haut mit Grapefruit straffen will, sollte vorsichtig sein. Grapefruit enthält leider Stoffe, die unsere Haut bei Sonneneinstrahlung schädigen. Also nur getestete Hautprodukte verwenden, die von den schädigenden Stoffen befreit sind, oder ein Furocumarin-freies Öl kaufen. 

21. Dezember

Benzoe: Warm-weicher Mantel

Benzoe riecht für mich nach Marroni, die meine Hände wärmen; die süss und sämig Zunge und Gaumen umschmelzen; im Riechstofflexikon wird der Baumharzduft als schokoladeähnlich beschrieben. Benzoe ist weich, warm, süss, aber keinesfalls zuckrig. Kaum jemand rümpft wegen Benzoe die Nase. Benzoe ist ein ausgesprochen milder Duft, Plakation liegt ihm fern. Mir kommt Benzoe vor wie ein introvertierter, gütiger Arzt, wie ein freundlicher Blick aus klugen Augen, wie eine warme Hand, die Berührung schenkt, ohne für sich selber etwas zu brauchen.

Benzoe wirkt heilend auf Haut und Wunden, wirkt beruhigend und mild auf Husten, deckt uns warm und leicht zu, behütet unseren Schlaf, liebkost unsere Seele und kleidet sie in Pashmina-Seide.

Benzoe ist ein Schutzmäntelchen für erschrockene, verunsicherte Kinder, schützt und wärmt aber auch das innere Kind jedes Erwachsenen. Benzoe riecht nach einem Menschen, der weiss, sich aber nichts darauf einbildet. Mitten in unerträglicher Schwere bleibt Benzoe leicht.

Welch sanfter, hilfreicher Freund an grauen Wintertagen, auch gerade für Kinder! Ein duftender Engel an unserer Seite.

Es gibt zwei Düfte mit Namen Benzoe: Benzoe Siam und Benzoe Sumatra. Beide riechen herrlich. Das soeben beschriebene Benzoe ist der Harzduft des Styrax tonkinensis-Baumes, Benzoe Siam. 

22. Dezember

Lavendel: Arzneipflanze des Jahres 2020

Lavendel. Überall Lavendel: in Seifen, Duschmitteln, Körperlotionen und Massageölen. Gerade die boomende Naturkosmetik schreibt sich gern «Lavendel» auf die Fahne. Nicht überall, wo Lavendel draufsteht, ist auch Lavendel drin. Oft kommt Lavandin zum Einsatz, weil er billiger ist; zwar auch eine Lavendelart, aber nicht der echte, schmalblättrige Lavendel. Wer sicher sein will, schaut beim Kleingedruckten: Wenn Lavandula angustifolia, Lavandula officinalis oder Lavandula vera ausgelobt ist, handelt es sich um den echten Lavendel, den wir alle kennen.

Lavandin hat auch seine Vorzüge, doch das Wirkungsspektrum des echten Lavendels ist viel breiter. Wie sein Name sagt, ist der Lavendel ein «Waschmittel». Er reinigt und schützt unsere Haut, lindert manch körperliches Ungemach, wäscht aber auch ab, was wir in unserem Leben nicht mehr brauchen. Lavendel ist ideal, um uns von Ballast zu befreien, den wir nicht ins neue Jahr mitnehmen wollen.

Lavendel ist ein Allerweltsduft und ein Allerweltsmittel; weil er so oft zum Einsatz kommt, hängt er manchem schon zur Nase heraus. Viele empfinden ihn als altmodisch, weil die Grossmama oder die Tante den Duft reichlich anwandte.

Unterschätzen wir den Lavendel nicht! Lavendel ist ein «Braveheart». Nichts ist der blauen Blume zu schwierig, nichts ist dem Lavendel peinlich, nichts stösst ihn ab. Seien es nun Brandwunden, Ekzeme, Hämorrhoiden oder Druckstellen bei bettlägerigen Menschen, sei es Herzrasen, Schlafstörung oder Angst: Der Lavendel traut sich. Er liebt das Leben und bleibt auch im Anblick des Todes auf seinem Posten. Er wäscht, pflegt und schützt.

Lavendel ist auch ein probates Mittel bei dumpf riechenden Räumen, die wenig Sonnenlicht bekommen. Ein paar Lavendelsäckchen, die wir zwischendurch kneten, um den Duft aus den Blüten zu holen, machen die Luft frisch, entfernen den Mief. Lavendel vertreibt Gerüche, die wir loswerden wollen: Käsegeruch nach einem Fondue zum Beispiel. Er beduftet unsere Wäsche und schützt sie erst noch vor Motten.

Wer einen grünen Daumen hat, pflanzt auf dem Balkon oder im Garten seinen eigenen Lavendel und trocknet im Herbst die Blüten. Lavendel steht auch einer phantasiereichen Küche wohl an: Er gehört in Herbes-de-Provence-Mischungen, schmiegt sich elegant an Ziegenkäse und passt perfekt zu Aprikosen. Mein Tipp für das andere Weihnachtsdessert: Ein paar Hände voll gedörrter Aprikosen über Nacht in verdünntem Lavendelsirup oder in einem Lavendeltee und einem gehäuften Esslöffel Lavendelhonig einweichen. Die Aprikosen passen als Beilage zum Käsegang oder lassen sich geschnitten in eine Mascarponecrème oder einen Cheesecake einarbeiten. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen ...

23. Dezember

Kaffee: Bittersüsse Kraft

«Der Duft der Kaffeeblüte». Als ich diesen Buchtitel las, knurrte ich ärgerlich. Das war doch wieder ein unrealistisches Kitscherzeugnis. Wenn die Blüten des Kaffeestrauches duften würden, müsste ich das doch wissen!

Ich wurde eines Besseren belehrt. Auf einer Kaffeeplantage im australischen Queensland fand ich Kaffeehonig. Ich nahm ein Glas mit. Beim Degustieren verlor ich die Sprache. Ich wurde in den Himmel auf Erden gehoben.

Ich wusste, dass mein Besuch nicht auf die Blütensaison fiel. Dass ich eigentlich zu spät dran war. Doch es riss mich zurück auf die Kaffeeplantage. Ich fragte einen der Besitzer, ob es noch irgendwo eine Blüte gebe, an der ich riechen könne. Er zeigte uns einen Kaffeestrauch, an dem ein paar schon fast verwelkte und eine einzige offene, weisse Kaffeeblüte schwebten.

Ein lieblicher, klarer Duft streichelte meine Nase. Es war, als würde ich das Leben selbst riechen, das wir ja nicht fassen können.

Lange blieb ich bei der zarten Blüte, atmete den Duft ein, um ihn mir zu merken, und schwieg. Einen leisen Anklang an Pfirsich konnte ich ausmachen, Pfirsich riecht wie das Glück.

Aus dieser wundersamen Blüte wächst die Kaffeekirsche, in der die Bohnen reifen. Presst man die gereinigten grünen Kaffeebohnen aus, erhält man ein kostbares und kostspieliges Öl, das grün, bohnig und leicht bitter riecht und die Haut pflegt wie kaum eine andere Substanz. Besonders wirksam behandelt das grüne Kaffeeöl Pigmentflecken und generell sonnengestresste Haut. Leider ist es fast nicht zu finden. Sollte ich je Gelegenheit bekommen, nehme ich es in mein Sortiment auf.

Den typischen, würzig aromatischen Kaffeegeruch, den wir alle so lieben, verdankt der Kaffee, wir ahnen es bereits, den Röstaromen. Röstmeisterin müsste Frau sein!

Röstaromen machen glücklich. Wenn ich Kaffee rieche, zum Beispiel nach einem langen, turbulenten Flug oder einer schlaflosen Nacht, dann habe ich den Eindruck: Alles ist gut, alles kommt gut. Und vor einem Auftritt trinke ich sehr gern einen Espresso. Ja, er muntert mich auf und gibt mir Kraft, aber nicht nur. Espresso schenkt auch eine konzentrierte Ruhe. Die Bewusstheit für das ganze Aromaspektrum des süssbitteren, bittersüssen Lebens.

Auf Reportagen oder Reisen nehme ich gern ein Fläschchen Kaffee-CO2-Extrakt mit. Für schwierige Situationen. So kann ich überall den Espressoeffekt erleben, ein tiefer Atemzug aus dem Riechfläschchen hat mir schon oft geholfen und mir die Kraft gegeben, mich schwierigen Situationen mit klarem Kopf zu stellen. «Alles wird gut», lautet die Botschaft des Kaffees.

24. Dezember

Weisstanne: Die edle Beschützerin mit der Herzwurzel

Weich sind ihre Nadeln. Auf der Oberseite des Zweiges stehen sie aufrecht, auf der Unterseite biegen sich die Nadeln mit weichem Schwung um den Zweig. Die Weisstanne zerkratzt meine Hände nicht, ganz im Gegensatz zur Fichte oder Rottanne, die rundherum fiese, spitzige Nadeln an den Zweigen trägt. An den weichen, wachsigen Nadeln der Weisstanne, die auch Edeltanne heisst, verletze ich meine Finger nicht.  

Die Weisstanne war lange ein wertvoller Baum im Bergschutzwald. Weisstannen sind edle Geschöpfe. Sie werden stark und alt. Mit ihren tiefen Herzwurzeln können sie sich gut verankern und halten den Boden fest. Mit Trockenheit können sie umgehen. Doch Hitze und Trockenheit sind in den letzten Jahren so schwer geworden, dass es sogar diesem beherzten Baum zu viel wird.

Der Duft der Weisstannenzweige verzaubert unsere Weihnachtsstuben. Er ist einzigartig unter den Nadeldüften. Er ist trocken, seine Botschaft ist «Schärme» (geschützt vor Nässe und Kälte). Ich kann nicht genug bekommen von dem reinen, edlen, würzigen Duft. Weisstannenduft fördert die Sauerstoffaufnahme der Lunge, desinfiziert die Raumluft, gibt ein Gefühl von Frische und Sicherheit. Gleichzeitig öffnet Weisstannenduft einen weiten Raum. Weisstannenöl ist die perfekte Wahl für einen Raumduft. Ein paar wenige Tropfen auf einen Weisstannenast oder einen Duftstein oder in die Duftlampe geben und tief durchatmen.

Ich wünsche uns allen einen trockenen, warmen Platz unter den weiten Zweigen einer starken Weisstanne, das Gefühl, im weiten Raum geschützt zu sein. Frei und tief zu atmen und uns zu erholen, wohlig an den Stamm unserer Beschützerin gelehnt. Wenn wir uns gehörig ausgeruht und den Duft unserer edlen Beschützerin verinnerlicht haben, können wir selber zum Weisstannenmenschen avancieren. Einem Menschen mit einer tiefen Herzwurzel, einem starken Stamm und biegsamen Nadeln, der Sicherheit und Schutz schenkt, der aber auch ehrlich ist und sagt, wenn es ihm zu viel wird.

Wichtige Informationen zum Umgang mit Essenzen

Düfte beleben uns, machen Freude und lassen uns tief durchatmen. Sie helfen uns zu regenerieren, sie lindern Beschwerden und schützen Haut, Atemwege und Psyche vor unliebsamen Gästen. 

 

Wen es gepackt hat und wer fortan mit Düften arbeiten will, dem gebe ich hier gern noch einige Tipps:

Gewürze, Tannenzweige, Lavendelsäckchen und Arvenkissen: Hier braucht es einfach nur Freude am Kombinieren und Ausprobieren.

Wer hingegen mit reinen Essenzen, die wir ätherische Öle nennen, arbeiten will, bedenke, dass in der Pflanze nur wenig Duftöl steckt, die Essenz hingegen pur ist. Also ja nicht mit puren Essenzen auf die Haut, ausser mit Lavendel bei kleineren Verbrennungen! Wer wissen will, wie reine Essenzen zu dosieren sind, wende sich an eine Fachkraft ihrer oder seiner Wahl. Natürlich gebe ich auf Wunsch sehr gern mein Wissen weiter. Aromatherapeutinnen wissen über ätherische Öle Bescheid.

Auf einen Duftstein oder in eine Duftlampe zwei, drei Tropfen ätherisches Öl geben und einen Raum beduften bringt viel Abwechslung und Freude in den Alltag. Die Duftlampe sollte nie länger als 20 Minuten brennen, sonst kann es zu Kopfschmerzen und Übelkeit kommen. Die Düfte sind stark.

Wer reine, kaltgepresste Zitrusschalenöle für das Verfeinern von Speisen einsetzen will, kann dies gerne tun, sollte aber auf Bioqualität achten und nur wenige Tropfen verwenden. Unter den destillierten ätherischen Ölen gibt es viele, die wir nicht einnehmen dürfen. Auch hier braucht es eine fachkundige Person, ich rate aber ernsthaft, die Düfte ausschliesslich mit der Nase zu geniessen. Die Gewürzwelt hält genügend Spielwiesen für unsere Nasen und unsere Gaumen bereit. 

 

Ich wünsche allen duftende Festtage und viel Wohlgeruch im nächsten Jahr!

 

Yvonn Séraphine Scherrer